Mobilität Kurmainzer Eliten

– mit diesem Thema beschäftigte sich unser Seminar im Sommersemester 2022 mit dem Ziel, digitale Karten zu einem regionalgeschichtlichen Thema zu konstruieren. Den theoretischen Ausgangspunkt bildeten jüngere Forschungsarbeiten, die postulierten, traditionelle Karten mit ihren klar umgrenzten Flächen und eindeutigen Linien würden der komplexen Struktur des Alten Reichs nicht gerecht, das nämlich eindeutige Zugehörigkeiten im Sinne einheitlich einzufärbender Flächen gerade nicht kannte. Der geschlossene Flächenstaat entwickelte sich eben erst langsam und war selbst am Ende des 18. Jahrhunderts noch nirgends vollständig ausgebildet, prägt aber die Kartenbilder schon für die früheren Jahrhunderte.

Hinzu kommt, dass Räume sich nicht nur durch politisch-rechtliche Kategorien konstituieren, sondern dass daneben vielfältige soziale, jurisdiktionelle, konfessionelle oder ökonomische Bindungen wirksam wurden. Dazu zählen auch die Lebens- und Karrierewege von Menschen. Gerade für Eliten gilt, dass sie sich nicht etwa nur innerhalb der Grenzen eines Territoriums aufhielten, sondern zum Studieren, zum Handeln, zur Ausübung eines Amtes etc. über ein hohes Maß an Mobilität verfügten, sodass an ihren Lebensläufen ersichtlich wird, wie sehr sie sich zwischen den Grenzen und Strukturen bewegten. Dies lässt sich auch am Beispiel der Mainzer Dompröbste erkennen, auf die sich das Seminar wegen der vergleichsweise günstigen Quellen- und Literaturlage fokussierte.

Das Kurfürstentum Mainz war ein sogenannter geistlicher Staat, d.h. der Erzbischof und Kurfürst von Mainz war geistliches und weltliches Oberhaupt in einer Person. Dem Kurfürstentum Mainz gilt ein Teilprojekt des Forschungsprojekts DigiKAR, mit dem das Seminar eng kooperierte, indem es auf die dort versammelte Expertise zurückgriff und umgekehrt die im Seminar erarbeiteten Daten DigiKAR zur Nachnutzung zur Verfügung stellte.

Genauer in den Blick genommen wurden die Lebensläufe der 14 adeligen Männer, die das Amt des Mainzer Domprobstes zwischen 1650 und dem Ende des Kurstaates um 1800 bekleideten. Für diese Personen wurden wichtige Lebensstationen definiert und recherchiert, um sie anschließend unter bestimmten Fragestellungen in Karten visualisieren zu können. Als Kriterium für eine Lebensstation galt, dass sie einen nachhaltigen Einfluss auf das jeweilige Leben gehabt haben musste, sodass beispielsweise Studienaufenthalte, Kavalierstouren, Aufschwörungen in die Domkapitel sowie weltliche und geistliche Ämter erfasst wurden. Letztere spielten eine besondere Rolle, da viele der Herren nicht nur in Mainz, sondern in etlichen weiteren Domkapiteln Mitglied waren und dort in verschiedene Ämter gewählt wurden; einige stiegen sogar bis ins Bischofsamt auf. An den Lebensstationen der Domherren wird ersichtlich, dass sie sich nicht nur in den Grenzen der Mainzer Diözese oder in Kurmainz bewegten, sondern auch in anderen Bistümern Ämter übernahmen oder Pfründen innehatten oder als Gesandte z.B. zum Immerwährenden Reichstag nach Regensburg oder an andere Höfe geschickt wurden, je nachdem, wie es familiäre Herkunft und persönliche Fähigkeiten, aber auch Gesundheit und Zufälle ermöglichten. Ihre grenzüberschreitende Mobilität zeigt die dynamischen Verhältnisse im Alten Reich und konterkariert die Vorstellung von einem Reich, das in wenigen Karten mit klaren Grenzen und einheitlichen Flächen darzustellen wäre: Die Mainzer Dompröbste veranschaulichen im Kleinen exemplarisch, was (wohl) für alle Eliten des römisch-deutschen Reiches galt.

Eine günstige Quellenlage ist dabei freilich immer nur in Relation etwa gegenüber dem Mittelalter zu verstehen: Denn auch die Recherchearbeit über die Dompröbste war ein langwieriger Prozess, währenddessen immer wieder neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten, wodurch sich freilich auch neue Fragen und Probleme stellten, die es zu beantworten und lösen galt. Herangezogen wurden Literatur zu den einzelnen Domkapiteln und Diözesen, Bischofsbiographien, Inschriftensammlungen, Universitätsmatrikeln, etc. Wo diese nicht ausreichten, war der Rückgriff auf die Quellen nötig, indem beispielsweise die Mainzer Hof- und Staatskalender des 18. Jahrhunderts herangezogen oder Anfragen an Archive gestellt wurden. Nichtsdestoweniger konnten für einige Ereignisse nur näherungsweise Daten bestimmt werden oder es ließen sich nur Datum und Art des Ereignisses ausmachen, nicht jedoch der Ort ermitteln. Beim Vorliegen widersprüchlicher Informationen wiederum mussten Entscheidungen getroffen werden, welcher Information der Vorzug zu geben wäre.

Nach einer Phase relativ breiter Recherche zu den Lebensläufen der Dompröbste wurde festgelegt, dass für die Visualisierung eine Konzentration auf die geistlichen Ämter der Dompröbste erfolgen sollte, da diese verhältnismäßig gut dokumentiert sind und zudem für einen geistlichen Staat und dessen Eliten eine besondere Bedeutung besitzen. Zu diesen Ämtern wurden neben einer interaktiven Karte auch statische Karten mit verschiedenen Schwerpunkten erstellt:

Zum Verständnis sind die Karten jeweils mit einer kurzen Beschreibung versehen, die das Erkenntnisinteresse, die dargestellten Pröbste sowie die wichtigsten graphischen Symbole kurz erklären.


Erster Entwurf: Lukas Theobald, August 2022

Endfassung: Bettina Braun, Oktober 2022